Norbert Ehrler

Frage

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Antwort

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Norbert Ehrler
laisierter Diakon

Das Interview wurde am 22.11.2002 auf Band aufgezeichnet und schriftlich fixiert.

1. Frage:
Im Verständnis der katholischen Kirche sind alle zum allgemeinen Priestertum berufen und mit der Verkündigung der christlichen Botschaft beauftragt. Die Befähigung hierfür gibt der Hl. Geist "wie er will" (1 Kor 12,11). Im Bild des “Leibes und der vielen Glieder" (1 Kor 12,12-31a) wird deutlich, dass keine Befähigung wichtiger oder wertvoller ist als eine andere. Wenn Eltern ihren Kindern in Liebe begegnen und sie nach christlichen Grundsätzen erziehen, so ist dies ebenso charismatisch und notwendig zum Aufbau der Kirche, wie der Priester, der seine Gemeinde leitet.

Trotzdem gibt es den besonderen Dienst des Amtspriestertums. Seinen Dienst versteht die Kirche als dreifaches Amt Christi: Prophet (Lehramt), Priester (Priesteramt), König (Hirtenamt).

Ist dies nicht eigentlich ein Widerspruch?

Antwort:
Das denke ich eigentlich nicht. Denn jede Gemeinschaft braucht ja jemanden der die Richtung angibt. Als Dienst an der Einheit ist dieses Amtspriestertum schon richtig. Widerspruch ist es keiner, aber es ist halt auch eine Ausfaltung und wenn beide auf dem gleichen Boden stehen kann es eigentlich nur Zusammenarbeit geben und keinen Widerspruch.


2. Frage:
Worin sehen Sie die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zwischen Amtspriestertum und allgemeinem Priestertum?

Antwort:
Die Möglichkeit der Zusammenarbeit ist überall gegeben. Ich denke es gibt kein Gebiet des Lebens den man es ausklammern müsste, aber es hängt immer von den Personen ab, und das ist das große Problem. Möglichkeiten gibt es immer. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass es ein Gebiet im Leben gibt, wo das wegfällt.


3. Frage:
Worin liegen Ihrer Meinung nach die Probleme bzw. die Grenzen dieser Zusammenarbeit?

Antwort:
Die Probleme liegen im Menschlichen. Dialogunfähigkeit, denke ich, ist das Hauptproblem. Ich möchte als Beispiel unsere Hospizgruppe anführen. Wenn wir keine Supervision hätten, würden die ganzen Bemühungen der Leute draußen irgendwo an die Wand donnern. Man muss für sich selber sorgen und das geschieht durch Supervision und Fortbildung. In der Amtskirche passiert das aber nicht. Wenn ich an die vielen "Diese" denke, die ich in den 20 Jahren Diakon schon mitgemacht habe. Da war halt alles mögliche wichtig, aber nie die wirkliche Mitbürgerlichkeit. Die hat dann Schafkopf geheißen oder sonst was. Aber nicht das was eigentlich notwendig wäre, das Gespräch. Ich denke jetzt an eine Geschichte - das war so mein erster Schock, vor 28 Jahren. Ein Bischof von Peru war zu Besuch in Aschaffenburg. Und dieser Weihbischof von Lima hat sehr schön erzählt und dann wurde er gefragt: "Wie ist das denn mit dem Zölibat bei euch?" Der Herr Dekan hat die Brille nach vorne geschoben und gesagt: "Herr Kaplan, so etwas fragt man nicht." Und das ist glaube ich das Problem. Es fehlt die Offenheit. Sie wird nicht gepflegt, unter den Amtsbrüder nicht und nicht mit den Laien.


4. Frage:
In welchen Bereichen findet diese Zusammenarbeit in ihrer Pfarrei statt, in welchen Bereichen sollte bzw. kann sie ausgebaut werden?

Antwort:
Also gelebt finde ich sie in Mainaschaff. Das läuft wunderbar. In Maria Geburt mindestens ebenso, da kommt etwas von Spiritualität rüber. Wenn ich daran denke was Mainaschaff für ein zerstrittenes Dorf war und wie der Pfarrer Otter da einen Frieden reingebracht hat, das ist ja fast schon ein Wunder. Und dass andere Leute sich davon nicht haben anstecken lassen, das ist eigentlich jammerschade.


5. Frage:

Wenn Sie zurückblicken auf die Zeit vor dem 2. Vatikanischen Konzil, auf die Konzilsbeschlüsse und die Zeit danach: Inwiefern hat sich (unter den Laien und unter den Priestern) das Bewusstsein einem allgemeinem Priestertum anzugehören und inwieweit hat sich die Zusammenarbeit zwischen Amtspriestertum und allgemeinem Priestertum verändert?

Antwort:
Früher war es so, wenn ich zurückdenke an meine Kindheit, als Ministrant, als junger Kerl und auch später noch, bevor das Konzil anging, da ist man "reingehopst" und hat die Jugendarbeit gemacht. Die Pfarrer waren Ehrfurchtspersonen, mit großem Abstand. Ich kann mich erinnern, wenn man zum Pfarrer nicht "Gelobt sei Jesus Christus" gesagt hat, dann hat man eine Schelle bekommen und daheim vom Vater noch einmal eine. Das war halt so. Und viele von diesen Amtsträgern haben das nicht so ganz auf die Reihe gebracht, als es dann plötzlich mitbrüderlich geworden ist. Es war ein unwahrscheinlicher Hoffnungsaufbruch, nicht bloß bei den Jüngeren, auch bei den Älteren. Sie haben gemerkt: Es kommt tatsächlich der Wind zum Fenster herein, das Johannes XXIII. aufgemacht hat. Und da war eine Begeisterung da! Es war einfach schön in diesem Haufen mitzumachen. Auf der anderen Seite dann die Bremser. Ich wurde auch gefragt, ob ich nicht Lust hätte etwas Neues anzufangen. Als ich den letzten Vorlesungskurs gemacht habe, da sind für mich "Kerzenfabriken" aufgegangen, bei dem, was da gehört habe. Was in dem Raum Kirche alles möglich ist! Als ich dann gesehen habe wie die Bremser kommen und wie sie Überhand nehmen, das war dann wie eine Keule. Ein bisschen resigniert bin schon. Aber ich halte mich da raus und versuche, soweit das möglich ist, im privaten Raum was zu machen, zu reden oder irgendwie zu wirken.


6. Frage:
Glauben Sie, dass den Christen die keine theologische Vorbildung haben, bewusst ist, was das allgemeine Priestertum ist, welche Bedeutung es für den Einzelnen und welche es für die Kirche hat?
 
Antwort:
Das glaube ich nicht. Den Begriff hört man zwar in den Lesungen aber das geht durch, das ist wie "Bahnhof". Das ist eine sehr abgehobene Sprache. Wenn das jemand in das Bild der Leute übersetzten kann, dann ist das gut. Aber dann heißt es nicht mehr allgemeines Priestertum, dann heißt das: ‘Jeder ist berufen, jeder hat seine Berufung und lass dich bitte anstecken. Ich habe da ein Feuer. Möchtest du auch etwas haben?'


7. Frage:
Das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz hat folgende statistische Daten herausgegeben (Vergleichszahlen 2000 gegenüber 1990):

  • Anzahl der Katholiken in der BRD:
  • - 1.435.000

    - 5,1 %

  • im Verhältnis zur gestiegenen Bevölkerungszahl:
  • - 11,7 %

  • Priester im aktiven Dienst:
  • - 2595

    - 17,1 %

  • Diakone im Hauptberuf:
  • + 385

    + 64,9 %

  • Diakone mit Zivilberuf:
  • + 480

    + 52,6 %

  • Pastoralassistent/referent/innen:
  • + 743

    + 20,6 %

  • Gemeindeassistent/referent/innen:
  • + 1200

    + 77,8 %

    Alle Auf- bzw. Abwärtsbewegungen sind keinen großen Schwankungen ausgesetzt, sondern verlaufen linear.
     
    Sind angesichts dieser Zahlen andere Denkmodelle bezüglich der Zusammenarbeit zwischen Amtspriestertum und allgemeinem Priestertum notwendig? Wenn ja, in welche Richtung müssten Sie Ihrer Meinung nach gehen? Welche Rolle spielt dabei die Diskussion über den Zölibat oder die Ordination von Frauen?

    Antwort:
    Eine sehr große. Ich finde die Situation unmöglich. Der "Codex Iuris Canonici" schreibt vor, dass die Kirche dafür zu sorgen hat, dass alle Gläubigen die Möglichkeit eines Gottesdienstes und seelsorgerischer Versorgung haben. Steht wortwörtlich drinnen! Und was die Kirche macht, was die Amtsträger machen, ist umgedreht. Sie schneiden das immer weiter ab. Es gibt ja keinen theologischen Hinderungsgrund, nicht zölibatär zu weihen und es gibt keinen Hinderungsgrund Frauen zu weihen. Ich finde das ist eine ganz große Verantwortungslosigkeit, und ich möchte nicht in den Schuhen stehen, die das zu verantworten haben. Das ist schlimm.


    8. Frage:
    In der "Dogmatischen Konstitution über die Kirche" ist in Kapitel 2 - Vers 10 zu lesen:
    "Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht..."
    In Vers 12 steht weiter: "Derselbe Heilige Geist heiligt außerdem nicht nur das Gottesvolk durch die Sakramente und die Dienstleistungen, er führt es nicht nur und bereichert es mit Tugenden, sondern ‘teilt den Einzelnen, wie er will' (1 Kor 12,11), seine Gaben aus und verteilt unter den Gläubigen jeglichen Standes auch besondere Gnaden..."

    Es gibt eine ganze Reihe von Pastoralassistent/innen die sowohl eine ebenso fundierte theologische Ausbildung haben wie Amtspriester, als auch spirituelle Gaben. Was spricht eigentlich dagegen, wenn der Bischof (der letztlich über die Echtheit der Geistesgaben urteilt [Lumen Gentium 12]) diese Laien zur Leitung einer Pfarrgemeinde beauftragt, dass diese Laien durch den Bischof "zur Verkündigung der Frohbotschaft, zum Hirtendienst an den Gläubigen und zu Feier des Gottesdienstes" (LG 28) ermächtigt werden?

    Antwort:
    Da spricht nichts dagegen, überhaupt nichts. Aber wer hat den Mut? Es gibt sicherlich in der Kirche Gottes einige Bischöfe, die das machen. Und die es dann eben nicht an die große Glocke hängen. Wenn sie nur an die Geschichte in der Tschechoslowakei denken, während der Verfolgung. Man hat dort während der Verfolgung, in der katholischen Kirche, verheiratete Männer zu Priestern und auch Frauen zu Priesterinnen geweiht. Und nach dem Fall des Kommunismus hat man diese einfach fallengelassen. Geweiht wurden diese von Bischöfen im Untergrund. Die Sukzession war gewährleistet. Ich weiß, dass es in Bezug auf die Orthodoxie ein heißes Eisen ist, wenn die katholische Kirche sich entscheidet Frauen zu weihen. Da wird es sicher Probleme mit den Orthodoxen geben. Ob es das aber wert ist, dass man die Leute geistig verhungern lässt? Wer soll die Jugendarbeit machen? Es sind keine Kapläne mehr da. Wo wollen die jungen Leute erfahren, was Kirche ausmacht?


    9. Frage:
    In anderen christlichen Kirchen scheint das allgemeine Priestertum einen höheren Stellenwert zu haben als in der katholischen Kirche, z.B. in den Freikirchen. Sind Sie ebenfalls dieser Ansicht? Wenn es um eine Annäherung der christlichen Kirchen geht, welche Rolle spielt dabei das unterschiedliche Verständnis von Amtpriestertum und allgemeinem Priestertum?

    Antwort:
    Ich weiß es nicht. Ich kenne eine ganze Reihe evangelischer Amtsträger und ich habe nicht den Eindruck, dass die sehr viel freier sind als unsere. In der Mehrzahl jedenfalls scheint es da genauso Probleme zu geben. Die würden sich wahrscheinlich freuen, wenn das bei uns fällt. Aber die Orthodoxie ist, glaube ich, in der Mehrzahl. Und es gibt vielleicht Spaltungen. Es wäre auch möglich, dass die Erzkonservativen nach außen fliehen, wie z.B. Lefebvre.