Pfarrer Josef Otter

Frage

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Antwort

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Josef Otter
Pfarrer von St. Margaretha, Mainaschaff

Das Interview wurde am 19.11.2002 auf Band aufgezeichnet und schriftlich fixiert.

1. Frage:
Im Verständnis der katholischen Kirche sind alle zum allgemeinen Priestertum berufen und mit der Verkündigung der christlichen Botschaft beauftragt. Die Befähigung hierfür gibt der Hl. Geist "wie er will" (1 Kor 12,11). Im Bild des “Leibes und der vielen Glieder" (1 Kor 12,12-31a) wird deutlich, dass keine Befähigung wichtiger oder wertvoller ist als eine andere. Wenn Eltern ihren Kindern in Liebe begegnen und sie nach christlichen Grundsätzen erziehen, so ist dies ebenso charismatisch und notwendig zum Aufbau der Kirche, wie der Priester, der seine Gemeinde leitet.

Trotzdem gibt es den besonderen Dienst des Amtspriestertums. Seinen Dienst versteht die Kirche als dreifaches Amt Christi: Prophet (Lehramt), Priester (Priesteramt), König (Hirtenamt).

Ist dies nicht eigentlich ein Widerspruch?

Antwort:
Ich sehe überhaupt keinen Widerspruch darin, muss aber auch dazu sagen: Mir ist das Bild des Volkes Gottes miteinander unterwegs, wie es das Konzil besonders deutlich herausgestellt hat, ein viel näher liegendes Bild. Und in diesem miteinander unterwegs sein erkenne ich auch überhaupt keine Widersprüche in unseren gemeinsamen Diensten, die wir haben zum Aufbau der Gemeinde, zum Aufbau des Reiches Gottes, zum Aufbau der Kirche. Ich sehe also keinerlei Widerspruch darin. Die Aufgaben, den Dienst, den wir miteinander haben, den sehe ich auch mehr von der Urkirche her, als den Dienst der Verkündigung, auch des Prophetischen in der Verkündigung, den Dienst der Liturgie und den Dienst der Sozialpastoral, wie wir es nennen. Das sind für mich eigentlich die Säulen dessen was wir miteinander zu tun haben.


2. Frage:
Worin sehen Sie die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zwischen Amtspriestertum und allgemeinem Priestertum?

Antwort:
Wir haben alle Aufgaben gemeinsam. Ich sehe nicht nur eine Zusammenarbeit, sondern eine gemeinsame Arbeit an der gleichen Sache: am Aufbau des Reiches Gottes eben, in den Bereichen der Verkündigung, in den Bereichen der Liturgie, in den Bereichen der Sozialpastoral. Also nicht nur Zusammenarbeit, sondern ein Miteinander der Aufgaben, die da gestellt werden.

Unter dem Bereich Sozialpastoral verstehe ich konkret, was die Urkirche vielleicht als Diakonie bezeichnet hat, als den geschwisterlichen Dienst in der Gemeinde den wir zu tun haben; der von Anfang an von Jesu Beispiel her zu dem gehört, was wir als Kirche, als Volk Gottes miteinander unterwegs aufgetragen bekommen haben und das noch in der Sozialpastoral erweitert um den politischen Aspekt. Es geht also nicht nur um all die Dienste der Nächstenliebe, sondern es geht auch darum Strukturen in Gerechtigkeit zu schaffen, in denen Menschen leben können und dann vielleicht auch viele Dienste gar nicht nötig haben, die wir im Augenblick aufbringen müssen wenn diese Strukturen gerecht verwirklicht werden können.


3. Frage:
Worin liegen Ihrer Meinung nach die Probleme bzw. die Grenzen dieser Zusammenarbeit?

Antwort:
Ich sehe keine Probleme, auch keine Notwendigkeit der Abgrenzungen. Ich glaube, dass wir von Anfang an das auch in der Praxis in unserer Gemeinde so gelebt und verwirklicht haben, in einem guten und harmonischen Miteinander. Ich hatte auf meinem Primizbild irgendwann einmal das schöne Wort von Bischof Augustinus geschrieben: "Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ." Ich glaube das gilt jedem von uns und ich habe mich bisher auf alle Fälle bemüht das auch im konkreten Leben unserer Gemeinde immer wieder klar zu machen.


4. Frage:
In welchen Bereichen findet diese Zusammenarbeit in ihrer Pfarrei statt, in welchen Bereichen sollte bzw. kann sie ausgebaut werden?

Antwort:
Ich bin glücklich darüber, dass Zusammenarbeit in unserer Pfarrei in vielfältiger Weise möglich ist. Gerade jetzt konnten wir durch die Einsetzung neuer Gottesdienstleiter sehr konkret beginnen und deutlich machen, dass uns jede Gottesdienstform am Herzen liegt. Wir spüren, dass diese vielen Gottesdienstformen auch langsam auf einer breiten Ebene wahrgenommen werden: dass wir in unserem Wortgottesdienst am Montag Liturgie im Vollsinne des Wortes feiern; dass wir am Dienstagabend in unserem ökumenischen Abendgebet mit Taizéliedern voll und ganz Liturgie feiern; dass wir keine Wertungen schaffen, keine 1.-, 2.-, 3.-Klasse-Liturgie, sondern sagen: ‘Wir mühen uns unseren Glauben zu feiern.' Wir tun dies in der Eucharistiefeier am Mittwoch und Donnerstag ebenso, wie auch am Freitag in unserem Friedensgebet. Das zeigt und macht auf die Dauer auch immer mehr bewusst, dass für uns Liturgie auch ein Stück Feier des Glaubens ist und unserer Wirklichkeit nicht nur etwas aufgepfropftes und lebensfernes, sondern etwas was aus dem Leben unserer Gemeinde auch immer wieder hervorgeht.

In der Zusammenarbeit ist noch so vieles möglich. Ich spüre immer wieder: unser Problem ist nicht so sehr, wo wir uns abgrenzen sollen und müssen voneinander in unseren Diensten, sondern dass es uns gelingt Menschen mitzunehmen auf diesem Weg; dass es uns gelingt in kleinen Gruppen auch Glauben zu leben; dass es uns gelingt vom Wort Gottes her unser Leben zu gestalten und unsere Pfarrgemeinde zu verlebendigen; dass wir so etwas wie kleine Basiskirchen schaffen können, in denen Glaube auch wirklich gelebt werden kann. Das ist natürlich auch immer eine Vision, die ich von Lateinamerika her mitbringe und die ich mir auch nicht nehmen lasse.


5. Frage:

Wenn Sie zurückblicken auf die Zeit vor dem 2. Vatikanischen Konzil, auf die Konzilsbeschlüsse und die Zeit danach: Inwiefern hat sich (unter den Laien und unter den Priestern) das Bewusstsein einem allgemeinem Priestertum anzugehören und inwieweit hat sich die Zusammenarbeit zwischen Amtspriestertum und allgemeinem Priestertum verändert?

Antwort:
Diese Frage kann man von der Theorie und von der Praxis her beantworten. Von der Theorie her ist viel Annäherung geschaffen worden und ebenso im Praktischen. Was uns allen in unserer Kirche hier in Deutschland deutlich wird ist, dass es nicht zu sehr um diese Gegenüberstellung geht, sondern dass es darum geht, ob Glaube in unseren Gemeinden überhaupt noch lebendig ist; ob Menschen überhaupt noch das Wort Gottes hören; ob das Wort Gottes sie interessiert und für sie noch immer Impuls zum Leben bedeutet. Das ist unser eigentliches Problem. Viele können heute schon nicht mehr unterscheiden, was der eine und was die andere für einen Dienst ausüben. Das wird in Zukunft sicher noch viel deutlicher werden. Darum geht es vielen Menschen schon lange nicht mehr. Es muss uns miteinander darum gehen, dass wir einfach Menschen mitnehmen auf den Weg Jesu; dass wir miteinander unterwegs sind. Es muss uns um diese große Ökumene gehen - aller gläubigen Menschen, nicht nur aller Christen. Dass wir spüren, wir haben einen gewaltigen Auftrag auf ein Weltethos hin, auf eine Welt in Frieden und Gerechtigkeit hin zu arbeiten, die letztlich ja auch dann Reich Gottes ist, wenn sie sich in Frieden und Gerechtigkeit immer mehr verwirklicht.


6. Frage:
Glauben Sie, dass den Christen die keine theologische Vorbildung haben, bewusst ist, was das allgemeine Priestertum ist, welche Bedeutung es für den Einzelnen und welche es für die Kirche hat?
 
Antwort:
Es wird ihnen immer weniger bewusst. Und auch in der Weise in der ihr Abstand zur Kirche größer wird, kann ihnen das gar nicht bewusst werden. Von daher wird es auch immer mehr darauf ankommen, dass wir nicht unsere Rollen und Funktionen heraushängen und sie verwirklichen, sondern dass wir als gläubige Menschen andere überzeugen können: Wir schaffen es, miteinander aus dem Glauben zu leben. Das wird dann immer weniger an irgendwelchen Ämtern festgemacht werden können, sondern an Menschen die überzeugen.


7. Frage:
Das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz hat folgende statistische Daten herausgegeben (Vergleichszahlen 2000 gegenüber 1990):

  • Anzahl der Katholiken in der BRD:
  • - 1.435.000

    - 5,1 %

  • im Verhältnis zur gestiegenen Bevölkerungszahl:
  • - 11,7 %

  • Priester im aktiven Dienst:
  • - 2595

    - 17,1 %

  • Diakone im Hauptberuf:
  • + 385

    + 64,9 %

  • Diakone mit Zivilberuf:
  • + 480

    + 52,6 %

  • Pastoralassistent/referent/innen:
  • + 743

    + 20,6 %

  • Gemeindeassistent/referent/innen:
  • + 1200

    + 77,8 %

    Alle Auf- bzw. Abwärtsbewegungen sind keinen großen Schwankungen ausgesetzt, sondern verlaufen linear.
     
    Sind angesichts dieser Zahlen andere Denkmodelle bezüglich der Zusammenarbeit zwischen Amtspriestertum und allgemeinem Priestertum notwendig? Wenn ja, in welche Richtung müssten Sie Ihrer Meinung nach gehen? Welche Rolle spielt dabei die Diskussion über den Zölibat oder die Ordination von Frauen?

    Antwort:
    Diese Zahlen können uns immer täuschen. Ich habe heute in der Zeitung gelesen: "Kirche fürchtet Einbußen in Millionenhöhe", die evangelische Landeskirche Bayern hat dies veröffentlicht. "Jede kirchliche Aufgabe die Geld kostet wird sich auf den Prüfstand stellen lassen müssen. Davon sind auch die sechzigtausend diakonischen Arbeitsplätze nicht ausgeschlossen. Wenn Mitarbeiter in den Ruhestand gehen, müssen wir prüfen, ob die Finanzierung der Stelle langfristig gesichert ist, ob wir es uns also leisten können einen neuen Mitarbeiter einzustellen." Das wird ein Problem sein, das alle Kirchen betrifft. Aber letztlich glaube ich nicht daran, dass diese Zahlen uns Wesentliches sagen können. Auch da habe ich in einem Artikel am Samstag in der FAZ etwas Interessantes dazu gefunden. Als Kommentar zu der Umfrage der Untersuchung des Davoser "World Economic Forums", wo Institutionen in 47 Ländern getestet wurden und die Kirche in Deutschland angeblich auf dem letzten Platz liegt. In diesem Kommentar steht: "Wie sich die evangelische Kirche immer mehr zu einem perfekt funktionierenden Funktionärsverband mit spiritueller Orientierung entwickelt hat, mit festen Sitzen in Rundfunkräten und Ethikkommission, aber fast ohne jede politische Widerspenstigkeit oder eigenes, aus dem Glauben gespeistes, provokantes Bekenntnis."

    Das könnte uns allen gelten. Es wird nicht an den Ämtern und Funktionen liegen, auch nicht an den Haupt- oder Nebenamtlichen, sondern es wird darauf ankommen, ob wir aus dem Glauben heraus unser allgemeines oder besonderes Priestertum leben. Es wird weiter darauf ankommen, ob wir aus dem Glauben heraus leben und unseren Dienst verrichten. Dann wird es nicht davon abhängen ob Mann oder Frau, ob verheiratet oder unverheiratet. Das werden Kriterien sein, die die Zukunft unserer Kirche nicht maßgeblich bestimmen.


    8. Frage:
    In der "Dogmatischen Konstitution über die Kirche" ist in Kapitel 2 - Vers 10 zu lesen:
    "Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht..."
    In Vers 12 steht weiter: "Derselbe Heilige Geist heiligt außerdem nicht nur das Gottesvolk durch die Sakramente und die Dienstleistungen, er führt es nicht nur und bereichert es mit Tugenden, sondern ‘teilt den Einzelnen, wie er will' (1 Kor 12,11), seine Gaben aus und verteilt unter den Gläubigen jeglichen Standes auch besondere Gnaden..."

    Es gibt eine ganze Reihe von Pastoralassistent/innen die sowohl eine ebenso fundierte theologische Ausbildung haben wie Amtspriester, als auch spirituelle Gaben. Was spricht eigentlich dagegen, wenn der Bischof (der letztlich über die Echtheit der Geistesgaben urteilt [Lumen Gentium 12]) diese Laien zur Leitung einer Pfarrgemeinde beauftragt, dass diese Laien durch den Bischof "zur Verkündigung der Frohbotschaft, zum Hirtendienst an den Gläubigen und zu Feier des Gottesdienstes" (LG 28) ermächtigt werden?

    Antwort:
    Ja, ich sagte es schon, für mich kommt es auf die Grundhaltung, auf den überzeugenden Glauben an, der letztlich auch die Glaubwürdigkeit ausmacht. Alles andere ist für mich zweitrangig.


    9. Frage:
    In anderen christlichen Kirchen scheint das allgemeine Priestertum einen höheren Stellenwert zu haben als in der katholischen Kirche, z.B. in den Freikirchen. Sind Sie ebenfalls dieser Ansicht? Wenn es um eine Annäherung der christlichen Kirchen geht, welche Rolle spielt dabei das unterschiedliche Verständnis von Amtpriestertum und allgemeinem Priestertum?

    Antwort:
    Das ist eine Frage, die mir nicht so ganz klar ist. Wir haben mit unseren evangelischen Geschwisterkirchen im Grund die gleichen Probleme mit den hauptamtlichen Mitarbeitern, die wir schon angesprochen haben. Wir wissen von Freikirchen, dass sie teils charismatischer, teils unkomplizierter, weil sie wesentlich kleiner und jünger sind, agieren können. Ob das Probleme hat zwischen dem Amtspriestertum und dem allgemeinen Priestertum, das kann ich gar nicht nachempfinden. Ich hätte überhaupt keine Probleme mit meinen evangelischen Kolleginnen und Kollegen, und habe auch nie verspürt, dass wir in diesem Punkt durch unterschiedliche Auffassungen oder ein unterschiedliches Verständnis in dieser Angelegenheit Probleme in der Annäherung hätten.